„Solange ich irgendwo ankomme“
Jenny Brosinskis Gemälde verhandeln Beziehungen zur Leere. Sie wissen, dass Leere wie Stille ohrenbetäubend sein kann, sich aber auch zu etwas Weitem, fast Freiheit öffnen kann. Brosinski arbeitet groß, zuletzt auf zwei bis drei Meter breiten Leinwänden, und erweitert so die Präsenz der rohen Leinwand, auf der sie ihre Gesten choreografiert. Trotz der kühnen Rohheit ihrer Malerei wirken diese Flecken aus verwaschenem rosa Öl oder die Spuren gelber Sprühfarbe nicht wie Eingriffe in die Leinwand, sondern vielmehr wie Mittel der Navigation und Betonung ihrer umfassenden Qualität. Dies ist keine Konfrontation und umgeht somit den Ansatz vieler gestischer Abstraktionen, die stillschweigend weißen Raum gegen Künstler als einleitende Konfrontation positionieren. Nehmen wir zum Beispiel die ehrfürchtige Neigung zu dieser Begegnung, die Robert Motherwells Praxis prägte: „Ich finde eine leere Leinwand so schön, dass es mich hemmt, sofort weiterzumachen […] und dass es für mich zu viel in zu kurzer Zeit verlangt. Daher neige ich dazu, die Leinwand ‚schmutzig‘ zu machen und dann sozusagen ‚rückwärts zu arbeiten‘ und zu versuchen, sie wieder in den Zustand der ursprünglichen Klarheit und Perfektion zu versetzen, auf der man begonnen hat.“ Auch Brosinski beschmutzt ihre Leinwände, denn sie beginnt ihre Arbeit auf dem Boden und die dort hinterlassenen Flecken, Falten und Fußabdrücke werden Teil ihrer Kompositionen. Anders als Motherwells Suche nach Transzendenz strebt sie jedoch nach Gemälden, die einen Spaltbreit von der Harmonie entfernt sind: leicht aus dem Gleichgewicht geraten und sich kontinuierlich der Instabilität anpassend. Diese Haltung nehmen diese Gemälde ein, denn sie beziehen ihre Dynamik aus der Annäherung an das Unbehagen.
Manchmal lässt sie die Mitte der Leinwand leer und platziert ihre Markierungen locker als Rahmen oder Randnotizen, wie in „And when the night is cloudy there is still a light that shines on me“ (alle Werke 2022), wo eine gesprühte gelbe Linie eine Grenze markiert, die von dicken Strichen in Altrosa neben einem Kern aus braunen Linien auf der rechten Seite der Leinwand durchzogen wird. In anderen Werken, darunter einigen Gemälden in „As Long As I Get Somewhere“, bildet ein Konglomerat von Markierungen in der Mitte der Leinwand kreaturenartige Formen. Sie zitiert eine Reihe von Vorläufern – Cy Twomblys Kritzeleien, Joan Mitchells Verwendung der Farbe Weiß, Michael Krebbers schnelle und schmutzige Striche, die Schmutzigkeit von Bad Painting – und spielt mit den Herausforderungen der Aufarbeitung des malerischen Erbes, indem sie sich selbst nicht ohne Augenzwinkern zitiert, da die struppige schwarze Linie in der Mitte von And when the night is cloudy there is still a light that shines on me ihre eigene spontane, mit Kohle gezeichnete Linie in grafisch wiedergegebenem schwarzem Öl repliziert. Obwohl von offenem Raum umgeben, neigen Brosinskis Striche dazu, sich in Gruppen zu überlappen, als würden sie aufeinander zustreben. In diesen Schichten – ein Rausch aus geschwärztem Gelb in „but now these days are gone“ oder ein Aufeinanderprallen von tiefblauen, blutroten und blassrosa blockartigen Wolken, überlagert von hastig gezogenen braunen und blaugrünen Linien in „Help me get my feet back on the ground“ – stören sich die Farben, verdecken sich aber nie völlig. Töne verschmelzen und kontrastieren miteinander, während Brosinski unterschiedliche Grade von Transparenz und Opazität einsetzt, um Fragen der Wahrnehmung in den Vordergrund zu rücken. Hier gibt es kein einfaches Sehen – keine „ursprüngliche Klarheit“ –, da eine Sache stets durch eine andere betrachtet wird. Diese Gemälde erinnern eindringlich daran, dass der Akt des Sehens stets verkörpert ist, gefiltert durch die Besonderheit des eigenen Standpunkts. Das Anerkennen der Belastungen, Vorurteile und Beschränkungen der eigenen Perspektive kommt dem Einnehmen der Perspektive eines anderen am nächsten. Die Leerstelle hier könnte vielleicht als Raum für solche Vorstellungen dienen.
Aber auch als Spielplatz, denn diese Gemälde, die sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen scheinen, haben eine gewisse Unbeschwertheit. Dieser Ton ist auch in Brosinskis Zeichnungen und Skulpturen zu finden – zwei für ihre Praxis ebenfalls wesentliche Medien –, die eine andere Herangehensweise an die Fragen ermöglichen, die ihre Gemälde prägen, nämlich, wie der Ausstellungstitel andeutet, irgendwohin zu gelangen. Dieses Gefühl von Bewegung ist besonders in ihren Zeichnungen spürbar, mit Kompositionen aus gemischten Medien auf Papier, die formal mit den Gemälden harmonieren, aber schneller erscheinen. Die leicht monsterhaften Kleckse, die in Gemälden wie Shinin‘ until tomorrow und I‘ve never done before auftauchen, zeugen von einem subtilen Sinn für Humor, der sich in ihre herrlich schrägen Bronzekreaturen verwandelt. Brosinskis bildhauerische Arbeit begann 2019 mit einem sitzenden Einhorn, das seine Augen bedeckt, und hat sich seitdem zu einer Reihe von Charakteren entwickelt, darunter der vierbeinige HornHead, der hier zu sehen ist. Die aus Ton geformten Kreaturen tragen fühlbare Abdrücke ihrer Formgebung und erinnern an Figuren aus Knete. Nach dem Bronzeguss besprüht Brosinski die Figuren mit scheinbar zufälligen Linien, als würde sie mit den Erwartungen des Mediums spielen. Sie positioniert Monumentalität, ob in ihrer Dreistigkeit, Größe oder Bronze, als etwas, worüber man sich lustig machen, mit dem man experimentieren und das man sich zu eigen machen kann.
Text: Wentrup Gallery / Camila McHugh
Fotos: Wentrup Gallery
28.10. – 03.12.2022
WENTRUP Galerie
Knesebeckstraße 95
10623 Berlin